9.16 Becker, Pforzheim und Ittersbach

 

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Es war nichts Außergewöhnliches, wenn sich 1945 ein Rundfunktechniker zum Aufbau einer selbständigen Existenz entschloss. Viele Hundert taten das im Nachkriegs­ Deutschland. Und es war auch durchaus keine Seltenheit, wenn solch ein Fachmann sich anschickte, ein Autoradio zu entwickeln, das er dann in Serie bauen wollte.

Nicht nur die bekannten Vorkriegsmarken wie Blaupunkt, Hagenuk, Loewe, Lorenz, Philips, Seibt, Siemens und Telefunken kamen Ende der 40er mit Autoradios auf den Markt. Viele neue wie Anders & Co. KG, Elaphon Knappe KG, Elcophon, Fahnenschreiber, Gareis & Co., Limley & Co., Magnophon, Münchner Rundfunkgerätebau, Prinz-Radio, Rada­ Rundfunkgerätebau GmbH, Rohde & Schwarz bzw. Messgerätebau GmbH (ESA), Schako F. Schad, Teladi, Terraphon, Wandel & Goltermann, Wilton­ Radio, Wünsch und noch weitere suchten ihr Heil im Autoradio.

Auch Max Egon Becker war unter diesen Anbietern, von denen doch kaum einer erfolgreich werden konnte. Und wenn sich dann so ein Neuling anmaßte, in puncto Technik alle anderen – auch die Altbekannten mit langjährigen Fabrikationserfahrungen – zu übertrumpfen, dann musste man sich fragen, ob der Betreffende genial oder eher naiv sei. Becker und seine ersten Erzeugnisse bewiesen jedoch, dass so ein Senkrechtstart möglich war. Von langer Hand vorbereitet, konnte zum Jahresende 1949 der erste serienmäßig hergestellte Typ AS 49 zur Bewährungsprobe auf die Straße geschickt werden.

 

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Das Erstmodell des späteren Mercedes-Typs Solitude hieß AR 5065 (das Gerät im Bild hat die Fabrik-Nr. 56). Das anfangs mit rechteckiger Skala gestaltete Modell war auch noch mit den Stahlröhren ECH 11, 2 x EF 11, EBF 11 und in der Endstufe mit der amerikanischen 6V6 bestückt.

Was wohl, könnte man scherzhaft fragen, hatten der Papst und Adenauer „auch“ gemeinsam? Das Becker­ Radio im Auto. Den Becker Nürburg hatten Persönlichkeiten wie z.B. der Papst oder Adenauer in ihrem Mercedes 300S; und einige andere gut Betuchte. Auch die „Käfer­ Fahrer“ wurden nicht vergessen. Die Spezialisten vom Rande des Schwarzwaldes, welche ein neues Werk in Karlsbad ­Ittersbach erstellten, bauten für alle Autos das passende Modell.

Bereits 1950/51 durfte sich das Pforzheimer Fabrikat seines guten Rufes als „Mercedes unter den Autoradios“ erfreuen. Von Solitude bis Mexico – die Daimler Benz AG baute fast nur den „Becker“ in ihre Nobelkarossen ein. 

 

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AR 5165 hieß der im Bild rechts stehende Superhet, welcher 1950 Schlagzeilen machte und dem Autoradiowerk Max Egon Becker, Pforzheim, das Renommee einer Nobelmarke bescherte. Dieses Modell (1951 hieß es Solitude 2) war nur zum Einbau in Mercedes­ Limousinen vorgesehen. Zum Einbau in andere Autos war der links abgebildete Typ Avus 1 (1951) geeignet, und der saß sogar einmal in einem Motorroller (siehe Kapitel 13.2). Wie der AR 5165 auch war das ein normaler Sechskreiser (ECH 42, 2 x EAF 42, EL 41).

 

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Notiz aus der „Funkschau“, Heft 19/1951

 

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Inserat: Das Becker-Lieferprogramm von 1951.

 

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Nur für den großen Benz und den BMW 501 war der etwa 800 DM teure Neunkreis-Großsuper Nürburg geschaffen worden. Dieses Gerät mit den Empfangsbereichen 2 x Mittel- und 4 x Kurzwellen wurde mit Stationstasten ausgestattet.

 

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Das Innenfoto rechts zeigt den Spulenrevolver und die HF-Röhren: 3 x EAF 42, ECH 42, und – einmalig im Autosuper – die EM 71 als Abstimmanzeige. Der NF-Teil mit einer ECC 40 und zwei EL 41 sitzt samt dem Stromversorgungsteil im getrennten Gehäuse. Die Gegentakt-Endstufe versorgt zwei nebeneinander eingebaute Lautsprecher.

 

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1951 kümmerte sich der „Mercedes-Hoflieferant“ auch um die Reisenden, die sich mit dem VW begnügen mussten. Für sie gab es das kombinierte Auto- und Heimradio Monza, welches – nach dem Vorbild des Philips Elomar  – sowohl an der 12-Volt Autobatterie, als (aus dem Wagen herausgenommen), auch am Wechselstromnetz betrieben werden konnte. Die Installation und Entstörung war, wie man im Bilde sieht, noch eine zeitraubende Aktion. 

1950 konnte man im ersten September-Heft der „Funkschau“ lesen: „Findige Funktechniker zeigten früher schon Lösungen des Rundfunkempfängers auf dem Motorrad. Neuerdings hat die Firma M.E. Becker, Autoradiowerk Pforzheim, erstmals auf einem Motorroller ein Autoradiogerät eingebaut, das bei einer großen Probefahrt zugleich einer einmaligen Belastungsprobe ausgesetzt wird“. Na ja – so ganz war der Berichterstatter nicht im Bilde – es war nur eine Werbevorführung (siehe Kapitel 13, Abschnitt 2). Max Becker wählte als Typ-Bezeichnungen für seine Geräte die Ortsnamen berühmter Rennstrecken. Er verstand es nicht nur, erstklassige Autoradios zu bauen, er war auch ein aktiver Freund des Rennsports.

 

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1950 konnte man im ersten September Heft der „Funkschau“ lesen: „Findige Funktechniker zeigten früher schon Lösungen des Rundfunkempfängers auf dem Motorrad. Neuerdings hat die Firma M.E. Becker, Autoradiowerk Pforzheim, erstmals auf einem Motorroller ein Autoradiogerät eingebaut, das bei einer großen Probefahrt zugleich einer einmaligen Belastungsprobe ausgesetzt wird“. Na ja – so ganz war der Berichterstatter nicht im Bilde – es war nur eine Werbevorführung (siehe Kapitel 13, Abschnitt 2).

 

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Inserat aus „radio mentor“, Heft 4/1951

 

1953 glänzte die Firma mit dem Mexico. Unter den Autosupern der Welt war es der erste mit automatischem Sendersuchlauf. „Man soll in den nächsten Jahren beim Wettbewerb der besten Autoradios den Mexico nicht mehr zulassen“, schrieb die Frankfurter Allgemeine am 20. Januar 1954, „er ist einfach zu überlegen.“

 

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Der berühmte Becker-Mexico mit Suchlauf. Weil die Patente für den elektronischen Suchlauf mit Scharfabstimmung bei SABA lagen, konzentrierten sich die Entwicklungen bei Becker auf das mechanische System nach J.H. Guyton, bei dem der Sender über eine elektromagnetisch aufgezogene Feder durch ein Hemmwerk angesteuert wird. „Der dazu erforderliche Schaltungsaufwand ist durchaus tragbar, obgleich an solch eine Suchautomatik allerlei Forderungen gestellt werden, deren Problematik erst bei der Vertiefung in technische Einzelheiten zutage tritt“ – schrieb die „Funkschau“ im Heft 7/54. Nur durch eine Präzisionsmechanik konnte das System funktionieren – wenn sich Verbrauchserscheinungen einstellten, wurde die Nachstimmung von Hand erforderlich. Das aufwändigere SABA-Verfahren kannte diese Nachteile nicht, aber es kam ja nach dem Krieg erst 1954 wieder auf den Markt. Deshalb ist die damalige Euphorie über das „beste Autoradio der Welt“ auch heute noch verständlich.

 

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Schaltskizze aus einem Aufsatz in der „Funkschau“, Heft 7/1954

 

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Inserat aus der „Funkschau“, Heft 5/1952

 

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Der Transistor kam vor allem den Autoradios und ihren Herstellern zugute. So klein konnten die Geräte jetzt werden, dass in dem dafür vorgesehenen Platz sogar noch Raum für ein Kassettengerät blieb. Becker lieferte es 1969 in Stereo. Zehn Jahre später suchte man am mikroprozessorgesteuerten Mexico electronic vergeblich nach Drehknöpfchen, und die Senderfrequenz erschien im Display.

 

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Anstelle der Kassette präsentierten die Techniker aus Karlsbad 1987 die Compact Disc im Autoradio. Becker war immer vorn – in der Technik und im Preisgefüge. Kein Wunder – die teils in kleineren Serien aufgelegten Geräte wurden schließlich mit deutschen Löhnen entwickelt und gebaut. Und wer nicht Wert darauf legte, unbedingt das Beste im Cockpit seines Autos zu haben und auch den vorbildlichen Kundendienst nicht entsprechend honorieren wollte, der konnte von einem Konkurrenzunternehmen auch ein sehr gutes Gerät erwerben, das unter deutscher Leitung in Portugal oder Malaysia preisgünstiger gefertigt wurde. Beckers Bilanzen verloren an Glanz. Ein zweites Becker Standbein sollte 1964 die Aviatik werden, aber auch das Flugfunkwerk litt unter Turbulenzen. Vorbei waren die Zeiten, als M.E. Becker an 80 Millionen Umsatz noch gut verdiente. Auch Becker musste – wie die „Funkschau“ im Heft 24/1975 berichtete – zur Produktion billiger Autoradios eine Gerätefabrik in Thailand installieren.

 

Aus der „Funkschau“, Heft 13/1960. Kofferradios mit KFZ-Halterungen wurden zur Konkurrenz –  die elegantere Lösung war der Becker-Monza LM

 

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Zwölf Jahre nach dem Erscheinen des Becker-Erfolgsmodells Mexico wurde es in Transistortechnik gebaut – im Bild rechts steht die Type Mexico TR von 1965. Ganz verabschiedet hatte sich Becker von der Röhre aber noch nicht – im Spitzenempfänger Grand Prix dominierten (letztmals 1965/66) neben drei Transistoren sechs Röhren.

Das Gerät links im Bild ist ein Monte Carlo TG von 1962. Dieser einfache Mittel- und Langwellenempfänger (Beckers Kleinster) war mit drei E-Röhren und NF-seitig mit drei Transistoren bestückt worden.

 

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Ein Sprung in die Neuzeit: Beim Traffic-Star wurde das Navigationssystem die Hauptsache, das Autoradio ist selbstverständlich auf dem neuesten Stand und auch ein CD-Player passt noch ins DIN-Gehäuse. Wie klein wohl der 4MB-Arbeitsspeicher (von 1997) ist? Knapp 3.000 DM sollte diese schon 1997 prämierte „Weltneuheit“ kosten, 1998 verkaufte sie der Markt zum Entsetzen Beckers um 2.000.– Mark. (Werkbild Becker)

 

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Notiz aus der Funkschau, Heft 14/1970.

 

1995, im Jahr des 50. Firmenjubiläums, in dem hochwertige Becker­ Autoradios noch immer auf dem Siegertreppchen der Weltbesten standen, stellte die Geschäftsleitung den Vergleichsantrag. Max Egon Becker hatte den Abstieg nicht mehr erlebt, er war schon 1983 gestorben. Danach wurde der Betrieb von einem Vorgang überschattet, den man „Erbfolge“ nennt. 50 % der Erben wünschten „Bares“ und so kam die Becker GmbH zu einem Schuldenberg, der sich schließlich auf 70 Millionen Mark anhäufte. Roland Becker („unser Management hat geschlafen“) suchte vergeblich nach einem finanzstarken Partner und war de facto seinen Geldgebern ausgeliefert. Die setzten in die Becker­ Geschäftsleitung einen Mann ihres Vertrauens, dem das Wohl seiner Auftraggeber mehr am Herzen lag als das der Becker­ Autoradio GmbH. Als dann Herr Lee Kun Hee von Samsung / Südkorea die Übernahmebereitschaft signalisierte, drängte die Bayerische Hypobank zum Verkauf. 51 % wollte Roland Becker behalten, um die etwa 1.000 Arbeitsplätze zu sichern, aber der Hypobank war eine glänzende Bilanz des eigenen Hauses wichtiger als der Erhalt deutscher Industriefirmen. Und so kam es – als Becker nicht auf die Bedingungen seiner Verhandlungspartner eingehen wollte – zu dem verhängnisvollen Schritt.

Aus Industriellenkreisen vernahm man Erleichterung, dass es schließlich doch nicht die Koreaner waren, die sich die Übernahme mehrerer renommierter deutscher Betriebe – darunter Becker – zum Ziel gesetzt hatten. Die Firma Harman International mit Hauptsitz in Washington machte das Rennen. Ende Februar 1995 erwarb sie das Unternehmen (ohne die Flugfunk GmbH, die damals im Besitz von Roland Becker verblieb). Sie wollte dafür Sorge tragen, dass die Autoradios der Nobelmarke (die von Mercedes, BMW und Porsche noch immer bevorzugt werden) auch künftig ihr weltweites Image bewahren.

Unwillkürlich denkt der Funkhistoriker an GTE bei SABA oder an GE bei Kuba, vielleicht auch an Gillette bei Braun.

 

 

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