Guglielmo Marconi: Der Pionier der Funktechnik und sein Erbe

"Es muß möglich sein", dachte der junge Guglielmo Marconi, während er im Frühjahr 1895 in einer Dachstube der elterlichen Villa in Pontecchio bei Bologna mit seinen Spulen und Drähten experimentierte. „Die Physiker haben längst bewiesen, daß es außer dem Licht auch noch andere elektromagnetische Wellen gibt, die sich frei im Raum ausbreiten. Warum sollte man mit ihnen nicht telegrafieren können?" „Du bist verrückt, Guglielmo", lachte sein älterer Bruder Alphonso, der ihm häufiger bei seinen Versuchen half. „Ohne Draht telegrafieren? Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie man mit einem Kabel Telegramme von Europa durch den Atlantischen Ozean nach Amerika sendet. Und du willst die Morsezeichen ganz einfach durch die Luft befördern? Mir scheint, du hast wirklich den Verstand verloren."

 

 

Guglielmo Marconi [1]

Inhaltsverzeichnis

1. Mentalität

2. Marconi erobert England

3. Der Sieg über den Atlantic

4. „Wir verdanken ihm unser Leben!"

 

1. Mentalität

Diese Einwände entmutigten Guglielmo nicht. Die Physik war sein Steckenpferd. Schon als Sechzehnjähriger hatte er alle erreichbaren physikalischen Zeitschriften verschlungen und an der Universität in Bologna die Vorlesungen des berühmten Professors Righi als „Schwarzhörer" besucht. Righi hatte die Hertzschen Wellen erklärt und gezeigt, daß ein Funke, der in einem unterbrochenen Stromkreis zwischen zwei Metallkugeln überspringt, in einem Drahtring am anderen Ende des Raumes elektrische Ströme hervorruft, die ebenfalls durch eine Funkenstrecke sichtbar gemacht werden konnten. Da keine andere Verbindung zwischen den beiden Stromkreisen bestand, mußte die Übertragung der Energie durch elektromagnetische Schwingungen der Luft erfolgen.

„Begreife es doch, Alphonso", sagte Guglielmo Marconi zu seinem Bruder. „Die von dem Physiker Hertz entdeckten Wellen sind nachweisbar. Sie haben die gleiche Geschwindigkeit und ganz ähnliche Eigenschaften wie das Licht. Wenn es mir gelingt, sie zu verstärken und in eine bestimmte Bahn zu zwingen, werden sich auch Nachrichten mit ihnen übertragen lassen!" Alphonso starrte ihn nur entgeistert an. Was er nicht sehen konnte, bestand für ihn nicht, und das Wesen der von seinem Bruder beschriebenen elektromagnetischen Wellen erschien ihm allzu unbegreiflich. Guglielmo mußte klein und bescheiden beginnen. Vater Marconi war ein wohlhabender Geschäftsmann, der außer dem geräumigen Landhaus in Pontecchio noch einen Palazzo in Bologna besaß. Seinem jüngsten Sohn, dessen Träume ihm allzu überspannt vorkamen, gab er jedoch nur ein recht sparsam bemessenes Taschengeld. Trotzdem ließ sich Guglielmo nicht von seinen Plänen abbringen. Jede Woche, wenn er seine fünfundzwanzig Lire erhielt, machte er sich mit einem kleinen Esel auf den Weg nach Bologna, um Handwerkszeug und Materialien einzukaufen. Abends kehrte er dann stolz mit seinen Kupferdrähten, Spulen, Akkumulatoren, Zinkblechen und Glasröhren heim und kletterte sofort in seine Dachstube hinauf, um einen neuen Sender oder Empfänger zusammenzubauen. In einem Notizbuch, worin er sorgfältig jede einzelne Versuchsanordnung beschrieb, vermerkte er neben den Preisen für das Material auch die eigenen „Reisespesen"

 

Marconi: The Man Who Networked the World : Raboy, Marc (McGill University):  Amazon.de: Bücher

Buchcover über Marconi [2]

 

Sein Plan war klar. Ein Funkeninduktor sollte, wie bei Hertz elektromagnetische Wellen ausstrahlen. Um die Empfindlichkeit des Empfängers zu verstärken, benutzte er statt eines unterbrochenen Drahtrings den Kohärer des französischen Physikers Branly. Dieses Gerät bestand in der Hauptsache aus einem Glasröhrchen, das mit feinen Metallspänen gefüllt war und an seinen Enden je einen elektrischen Anschluß besaß. Trafen die im Sender erzeugten elektromagnetischen Wellen auf den Kohärer, so wurden die Metallspäne leitend und ließen Strom aus einer Batterie durch die Spule eines kleinen Elektromagneten fließen. Mit Hilfe dieses Elektromagneten wollte Marconi die vom Funkeninduktor ausgestrahlten Impulse im Empfänger sichtbar machen. Seine ersten Versuche mißlangen. Daraufhin begann Marconi, den Aufbau des Kohärers zu ändern. Tagelang probierte er die verschiedensten Möglichkeiten. für die Zusammensetzung der Metallspäne aus; statt des Eisens verwendete er Kupfer, Zink, Aluminium, Nickel und Silber. Als sich dadurch keine Verbesserung ergab, ersetzte er die Kugeln des Funkeninduktors durch zwei gewölbte Zinkbleche, die er aus einer alten Petroleumkanne zurechtschnitt, und baute auch in den Stromkreis des Empfängers zwei gleich große Bleche ein.

 

 How Marconi Gave Us the Wireless World

Guglielmo Marconi im Studio [3]

 

In einer Winternacht des Jahres 1895 geschah endlich das Wunder, auf das er so lange gewartet hatte. Wieder saß er beim flackernden Licht seiner Petroleumlampe über seinen Drähten und Spulen. Um gründlicher experimentieren zu können, hatte er sich inzwischen noch eine zweite Dachkammer für seine Versuche hergerichtet. In der einen stand der Sender, in der anderen der Empfänger, der durch einen zusätzlichen Stromkreis verstärkt war. Diesen zweiten Stromkreis hatte er mit einer gewöhnlichen elektrischen Klingel verbunden. Sorgfältig betätigte er den in den Stromkreis des Induktors eingebauten Morsetaster: Kurz, lang, kurz, lang. Die Funken sprangen über. Und in dem gleichen Augenblick schlug die Klingel im Nebenraum an: Kurz, lang, kurz, lang Marconi glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Um sich zu vergewissern, wiederholte er den Versuch: Kurz, lang, kurz, lang. Und wieder antwortete die Klingel in den vom Sender bestimmten Abständen. Da sprang Marconi von seinem Stuhl auf und stürmte zum Schlafraum seines Bruders hinunter. „Ich habe es geschafft, Alphonso! Komm und überzeuge dich! Ich kann zwischen zwei Zimmern drahtlos telegrafieren!" Schlaftrunken stolperte Alphonso die steile Treppe nach oben. Voller Stolz führte ihm Marconi das gelungene Experiment vor.

„Kurz, lang, kurz, lang! Hör, wie die Klingel anschlägt!" Frau Marconi, eine geborene Irin, war von dem Erfolg ihres Sohnes begeistert. Schwerer hielt es, den Vater von der Zukunft der drahtlosen Telegrafie zu überzeugen. Als er zum Wochenende von Bologna nach Pontecchio kam, sah er sich die Versuche seines Sohnes zwar aufmerksam an, beurteilte sie als gewiegter Geschäftsmann zunächst jedoch sehr zurückhaltend. „Du telegrafierst von einem Zimmer zum anderen", sagte er. „Das ist für mich noch kein Beweis für die Verwertbarkeit deines Systems. Wenn du imstande bist, deine Morsezeichen dreihundert Meter weit über unser Grundstück zu senden, werde ich dir tausend Lire zum weiteren Ausbau deiner Erfindung zur Verfügung stellen. Aber denke daran: ohne Draht dreihundert Meter weit! Vorher bekommst du keinen Centesimo!" Es war eine harte Nuß, die Marconi zu knacken hatte. Mit Unterstützung seines Bruders und einiger hilfsbereiter Nachbarn, des Gärtners Antonio Marchi und des Kleinpächters Luigi Magnani, ging er sofort daran, seine Versuche im Freien weiter auszubauen. Anfangs gelangen ihm jedoch nur Übertragungen bis zu fünfzig Metern. Bei größeren Entfernungen konnte auch das kräftigste Drücken der Morsetaste den Empfänger nicht dazu veranlassen, die Klingel in Gang zu setzen.

 

Marconi-Sender

Marconi Sender [4]

 

Da kam Marconi auf einen merkwürdigen Gedanken. Er ersetzte das obere Blech des Senders durch mehrere Kupferdrähte, die er über zwei Holzständer spannte. Danach verband er das zweite, auf dem Boden aufgestellte Blech mit einer in der Erde vergrabenen Kupferplatte. Die gleichen Veränderungen nahm er beim Empfänger vor. Mit dieser Versuchsanordnung hatte Marconi die geerdete Antenne erfunden! Der Erfolg war großartig; von nun an konnte er seine Zeichen überwesentlich größere Entfernungen senden. Nach und nach erhöhte er den Abstand zwischen Sender und Empfänger auf 100, 200, 300 und schließlich sogar auf 500 und 1000 Meter! Außerdem tauschte er die Klingel gegen einen Morseschreiber aus und begann, zusammenhängende Texte zu übertragen.

 

Ein Marconi-Funkensender für drahtlose Telegrafie

Marconi Funkensender [5]

 

Außerdem tauschte er die Klingel gegen einen Morseschreiber aus und begann, zusammenhängende Texte zu übertragen. Als sein Vater wieder einmal nach Pontecchio kam, führte Marconi ihn sofort in den Garten. „Ich möchte mir meine tausend Lire verdienen", erklärte er. „Hier steht mein Sender. Drüben bei den Obstbäumen habe ich die Empfangsanlage aufgebaut. Die Entfernung beträgt genau siebenhundertundzwanzig Meter. Ich sende von hier aus Morsezeichen: kurz oder lang in beliebiger Reihenfolge, wie du es selber bestimmst. Bei einem kurzen Anschlagen des Empfängers schwenkt Alphonso eine rote Fahne, bei längerem Anschlagen eine blaue Fahne. Bitte, Vater, diktiere!"

Über siebenhundert Meter?" staunte sein Vater. „Du machst mich wirklich neugierig. Also gut, zeig, was du geleistet hast: lang, lang, kurz, lang, kurz. kurz ..." Während Marconi die Morsetaste betätigte, gingen drüben die Fahnen hoch: blau, blau, rot, blau, rot, rot! Als er seine Zeichen zügiger sandte, begann Alphonso einen wilden Indianertanz aufzuführen. In immer schnellerem Wechsel flogen die beiden Fahnen durch die Luft. „Ausgezeichnet, Junge!" bestätigte Vater Marconi und klopfte seinem Sohn auf die Schulter. „Ich glaube, wir unterbrechen die Vorführung, sonst verrenkt sich Alphonso noch seine Glieder. Komm in einer halben Stunde in mein Arbeitszimmer, ich habe mit dir zu reden!" Klopfenden Herzens ging Marconi zur festgesetzten Zeit in das Landhaus hinüber. „Nimm Platz!" sagte sein Vater. „Deine Vorführung hat mir gefallen. Hier hast du den versprochenen Scheck. Und wenn du Hilfe brauchst, wende dich in Zukunft getrost an mich; an meiner Unterstützung soll es nicht fehlen!" Marconi blickte auf den Scheck und schrie vor Freude auf. Sein Vater hatte ihm statt der versprochenen tausend Lire fünftausend geschenkt — ein kleines Vermögen für einen jungen Menschen, der bisher mit einem kargen Taschengeld auskommen mußte.

 

Datei:Marconi's first radio transmitter.jpg

 Einer der ersten Sender Marconis [1]

 

Mit doppeltem Eifer setzte er seine Bemühungen fort. Größere Entfernungen konnte er jetzt überbrücken. Aber würde er imstande sein, auch über Hügel, Berge und andere Hindernisse hinweg zu telegrafieren? Diese Frage galt es so bald wie möglich zu klären. Denn Marconi wußte, daß seine Erfindung nur geringen Wert haben würde, wenn sämtliche Empfangsstationen im Sichtbereich des Senders stehen müßten. Mit seinem Esel und seinen beiden getreuen Gehilfen Alphonso und Gärtner Marchi machte er sich auf den Weg in das Reno-Tal. Nach anderthalbstündigem Marsch fanden sie neben der zum Poretta-Paß führenden Straße ein geeignetes Versuchsgelände. Hinter einem steil ansteigenden Hügel konnte der Empfänger so aufgebaut werden, daß er gegen den Sender völlig abgeschirmt war. Eine Verständigung mit Hilfe einer Fahne war nun nicht mehr möglich. Marconi drückte seinem Bruder daher ein Jagdgewehr in die Hand und verabredete mit ihm, er möge einen Schuß abgeben, sobald die ersten Morsezeichen eintreffen würden. Marconis Vorhaben gelang auch diesmal; er drückte die Morsetaste, der Empfänger begann zu arbeiten, und Alphonso knallte mit dem Jagdgewehr in die Luft. Alles verlief nach Wunsch; nur der Esel nahm den plötzlichen Knall übel, galoppierte etwa hundert Meter querfeldein und suchte sich weiter abseits einen geruhsameren Weidegrund. Als Marconi nach der Absendung einiger Texte über den Hügel stieg, um die Übertragung anhand der Papierrolle des Morseschreibers zu prüfen, stand Marchi vor dem Empfänger und starrte voller Verwunderung auf das untere Verstärkerblech. „Seit einigen Wochen suche ich nach meiner alten Gießkanne", berichtete er. „Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wo sie geblieben war. Jetzt habe ich sie plötzlich wiedererkannt. Es ist kaum zu glauben, aber: meine gute alte Gießkanne ist zu einem wichtigen Bestandteil der drahtlosen Telegrafie geworden. Merkwürdig, was man auf der Welt alles erleben kann!"

 

2. Marconi erobert England

„öffnen Sie bitte Ihr Gepäck!" sagte der mißtrauische Zollbeamte, als Marconi an einem stürmischen Februartag des Jahres 1896 das Fährschiff verließ, das ihn und seine Mutter von Calais nach Dover gebracht hatte. Mißmutig schloß Marconi die vielen Kisten und Behälter auf. Sie enthielten nichts als Batterien, Kupferdrähte, Spulen, Bleche, Elektromagneten und pulvergefüllte Glasröhrchen. Die Koffer mit der Bekleidung hatte Frau Marconi längst nach London vorausgeschickt. „Eine merkwürdige Ausrüstung, die Sie mit sich führen", meinte der Zollbeamte, ein älterer Mann, der seinen Dienst sehr ernst nahm. „Darf ich fragen, wofür Sie Ihre Geräte verwenden wollen?" „Das ist nicht so leicht zu erklären", antwortete Marconi. „Genügt es nicht, wenn ich Ihnen sage, daß ich Physiker bin?" „Mein Sohn hat eine Erfindung gemacht", ergänzte Anna Marconi. „Er möchte sie in England weiter ausbauen. Ich bin selber Engländerin, wir haben Verwandte und Freunde hier.  .." Der Zollbeamte blieb argwöhnisch. „Was haben Sie denn erfunden?" fragte er Marconi. „Ein Verfahren, drahtlos zu telegrafieren!" „Drahtlos, einfach mit — nichts?" staunte der Zollbeamte und glaubte, einem Irren gegenüberzustehen.

„So einfach ist es auch wieder nicht", bedeutete ihm Marconi. „Ich benutze elektromagnetische Wellen. Sie werden in einem Sender erzeugt, pflanzen sich durch die Luft fort und betätigen den Morseschreiber eines Empfängers." „Elektromagnetische Wellen — oh, ich verstehe", nickte der Zollbeamte und trat vorsichtig einen Schritt zurück. Der Fremde schien ihm nicht recht bei Verstand zu sein. „Geduldigen Sie sich einen Augenblick", bat er dann. „Ich werde meinen Vorgesetzten um eine Entscheidung bitten." Marconi war verärgert. „Das haben wir nun von deinem Vorschlag, nach London zu fahren", sagte er zu seiner Mutter. „In Italien hat man kein Interesse für meine Erfindung gehabt, aber man hat mich wenigstens in Ruhe arbeiten lassen. Hier werde ich schon bei meiner Ankunft wie ein Verbrecher behandelt." Tatsächlich waren die Ausländer zu dieser Zeit auf der Insel nicht gerade gern gesehen. In Südafrika gärte es bei den Buren, und mit Frankreich und Italien hatte es wegen des englischen Vordringens am Nil Ärger gegeben. Die Londoner Polizei fürchtete daher, daß Attentate aufführende Mitglieder der Regierung verübt werden könnten. Nun traf ein unbekannter italienischer Physiker in Doverein, behauptete, mit elektromagnetischen Wellen zu experimentieren, und trug Glasröhrchen mit sich herum, die mit merkwürdigen Pulvermischungen gefüllt waren. „Ich bedaure, Ihr Gepäck beschlagnahmen zu müssen", erklärte der Zollbeamte, als er aus dem Büro zurückkam. „Sie werden in einigen Tagen von uns hören. Teilen Sie uns bitte Ihre Anschrift mit, sobald Sie in London Wohnung genommen haben. 

Der Empfang war nicht gerade erfolgversprechend. Zum Glück klärte sich die Lage schnell; schon nach wenigen Tagen wurde Marconis Gepäck freigegeben. Nur die Kohärer waren auf dem Zollamt entleert worden. Wahrscheinlich hatten die Beamten befürchtet, sie seien mit Nitroglycerin oder einem anderen gefährlichen Sprengstoff gefüllt. Die ersten Wochen seines Aufenthaltes in London benutzte Marconi dazu, unter Mitwirkung zweier angesehener Anwälte ein Patent für sein „Zwei-Stromkreis-System mit einem zusätzlichen Luftleiterkreis" zu beantragen. Es wurde ihm Ende Juni unter Nummer 12039 bewilligt. Damit war seine Erfindung amtlich anerkannt; von nun an blieb die Entwicklung der drahtlosen Telegrafie untrennbar mit dem Namen Marconi verbunden. Sofort nach der Erteilung des Patentes schrieb er an mehrere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und stellte ihnen die Vorzüge seines Verfahrens dar. Einer von ihnen war Sir William Preece, der Generaldirektor der englischen Post und Telegrafenwesens.

Preece hatte selbst schon mit elektromagnetischen Wellen experimentiert und eine Verbindung zwischen der Küste und einem Feuerschiff herzustellen versucht. Als ihm ein bekannter Physiker bestätigte, daß Marconis Verfahren besonders entwicklungsfähig sei, lud er den Erfinder zu einer Rücksprache in das Postoffice ein. „Ich bin bereit, Ihre Versuche zu unterstützen", sagte er. „Voraussetzung ist allerdings, daß ich mich von der Arbeitsweise Ihrer Geräte überzeugen darf. Wäre es Ihnen möglich, sie mir und meinen engsten Mitarbeitern einmal vorzuführen?" „Jederzeit“ antwortete Marconi. „Meine Versuchsanordnung ist so einfach, daß ich innerhalb weniger Stunden sende- und empfangsbereit sein kann." „Gut", erklärte Preece. „Bauen Sie morgen vormittag Ihren Sender oben auf unserem Flachdach auf. Unser Gebäude überragt die umliegenden Häuser um mehr als zehn Meter, dürfte sich also gut für Ihren Versuch eignen. Am Themse-Ufer, etwa siebenhundert Meter von uns entfernt, steht das Marineamt; dort werden Sie sicher einen geeigneten Platz für Ihren Empfänger finden. Die Übertragung möchte ich gern auf drei Uhr nachmittags festsetzen."

Am nächsten Morgen turnte Marconi schon vor Dienstbeginn auf dem Dach des Post-Office herum. Seine Geräte hatte er so eingerichtet, daß er mit dem Sender auch empfangen und mit dem Empfänger senden konnte. Während er am Schornstein hochkletterte, um seine Antenne zu spannen, steckte plötzlich ein Postbeamter seinen Kopf durch eine der Dachluken und betrachtete Marconi mit einem spitzbübischen Lächeln. „He, was tun Sie da?" fragte er. „Legen Sie einen neuartigen Blitzableiter, oder haben Sie die Absicht, hier oben einen Zirkus aufzumachen?" „Falsch getippt", erwiderte Marconi. „Wenn Sie Arbeit suchen, wäre es sehr freundlich von Ihnen, mir die Drähte zuzureichen. Kluge Reden helfen mir nicht weiter." Der Beamte ließ sich nicht zweimal bitten. Kurz entschlossen stieg er zu Marconi auf das Flachdach. Er war klein, ein wenig untersetzt, hatte einen hochgezwirbelten Schnurrbart und lustige blaue Augen. „Ich heiße Kemp“, sagte er, „Postingenieur George Kemp. Nehmen Sie mir meinen Spaß bitte nicht übel. In der Werkstatt habe ich erfahren, daß Sie heute nachmittag drahtlos telegrafieren wollen. Ich bin sehr daran interessiert. Wenn Sie Hilfe brauchen, dürfen Sie auf mich rechnen." Die beiden Männer reichten sich die Hand. Sie fanden Gefallen aneinander, aber sie ahnten in diesem Augenblick beide noch nicht, daß zwischen ihnen eine Freundschaft entstehen würde, die sich auch in den bittersten Stunden bewähren sollte.

 

Guglielmo Marconi – Wikipedia

Marconis zweite Antenne [1]

 

Am Nachmittag waren zahlreiche Wissenschaftler, Ingenieure, Offiziere und Beamte auf dem Dach des Post-Office versammelt. Marconi erklärte ihnen die Arbeitsweise seiner Geräte. Danach funkte er die ersten, von Sir Preece angegebenen Sätze zum Marineamt hinüber, wo George Kemp den Empfänger bediente. Telefonische Rücksprachen bestätigten die gelungene Übertragung. Nach einer knappen halben Stunde wurden die Geräte umgeschaltet; jetzt sandte Kemp minutenlang Texte, die Marconi vor den Augen der geladenen Gäste mit dem Morseschreiber aufnahm. „Eine ausgezeichnete Leistung", bestätigte einer der Offiziere nach der Vorführung in einer persönlichen Besprechung mit Sir Preece." Aber Sie haben doch selber schon drahtlos telegrafiert! Ist es denn wirklich erforderlich, das System dieses jungen Italieners zu übernehmen?"

Sir Preece lächelte. „Ich bedaure, Sie enttäuschen zu müssen", erwiderte er. „Marconi ist mir weit überlegen. Ich kann nichts anderes tun als bescheiden zurückzutreten und ihm die Wege zu ebnen. Engländer oder Italiener — zuletzt kommt es doch nur auf den Fortschritt und auf das Glück und die Sicherheit der Menschen an!" Uneigennützig stellte er dem Erfinder die mit den besten Funkeninduktoren und den empfindlichsten Meßgeräten ausgestatteten Versuchsräume der Postdirektion zur Verfügung. Marconi nahm diese Vergünstigung so gründlich wahr, daß seine Mutter ihn kaum noch zu Gesicht bekam. Entweder arbeitete er in der Werkstatt, oder er war mit Sir Preece und George Kemp unterwegs, um geeignete Plätze für den Aufbau von Senden und Empfangsstationen zu erkunden. Bei dieser Suche ging Marconi davon aus, daß sich sein System am ehesten auf dem Wasser durchsetzen würde. Auf dem Festland gab es zahlreiche Wünsche für die Weitergabe von Nachrichten und Telegrammen. Dagegen war ein Schiff, sobald es den Hafen verlassen hatte und sich auf freiem Meer befand, ganz auf sich selbst gestellt. Bei Seenot konnte nur noch der Zufall der Besatzung zu Hilfe kommen; über den Sichtbereich hinaus war jede Verbindung mit der Küste oder anderen Schiffen unmöglich. Seinen ersten größeren Versuch führte Marconi daher am Bristolkanal durch.

Auf den Klippen von Lavernock Point, eine Wegstunde von dem Badeort Penarth entfernt, ließ er einen dreißig Meter hohen Mast errichten, der durch Drahtseile gehalten wurde. Von seiner Spitze führte ein isolierter Kupferdraht bis zum Fuß des Mastes an den einen Pol des Empfängers. Der andere Pol wurde durch einen zweiten, etwa zwanzig Meter langen Draht mit dem Meer und damit auch mit der Erde verbunden. Den von einer verhältnismäßig schwachen achtzeiligen Batterie betriebenen Sender stellte er in einem Bretterhäuschen auf der fünf Kilometer entfernten Kanalinsel Flatholm auf. Außer Sir Preece, George Kemp und den beiden Postingenieuren Gavey und Cooper nahm auch ein deutscher Gast an diesem Versuch teil. Es war Professor Adolf Slaby, der später gemeinsam mit Professor Karl F. Braun und Graf Arco die drahtlose Telegrafie für Deutschland nutzbar machte. Der erste Tag brachte eine Enttäuschung. Gegen neun Uhr morgens hatte sich George Kemp hei heulendem Sturm und prasselndem Regen nach Flatholm übersetzen lassen.

Eine Stunde später sollte die Obertragung beginnen. Aber der Morseschreiber in der Holzbaracke auf der Klippe von Lavernock Point rührte sich nicht. Zu hören war nur der Sturm, der draußen durch die Drahtseile pfiff und grauen Sand über den Felsen trieb. „Wir werden einen stärkeren Sender nehmen müssen", schlug Sir Preece vor. „Vielleicht empfiehlt es sich, besseres Wetter abzuwarten", meinte Professor Slaby. „Ich schätze, wir haben heute mindestens Windstärke zehn." Marconi schüttelte den Kopf. „Ich bin bisher immer mit schwachen Strömen ausgekommen", entgegnete er, „und der Sturm muß auch zu überwinden sein. Mein Verfahren ist nur dann brauchbar, wenn es unter allen Bedingungen arbeitet, also auch bei Windstärke zehn und bei Unwetter auf See!" Nachmittags machte er sich daran, eine Holzkiste zu zimmern und sein Gerät etwa zwanzig Meter weiter seitwärts aufzubauen. Er vermutete nämlich, daß die starken Halteseile des Antennenmastes den Empfang beeinträchtigten. Bald darauf trafen wirklich die ersten, allerdings noch undeutlichen Zeichen ein. Am nächsten Morgen entschloß sich Marconi, die Versuchsanordnung noch einmal zu ändern. Er verlängerte den Kupferdraht auf etwa sechzig Meter und stellte den Empfänger am Fuß der Klippe unten am Strand auf. Die Übertragungen des zweiten Tages verliefen störungsfrei. Professor Slaby berichtete später darüber: „Es wird mir eine unvergeßliche Erinnerung bleiben, wie wir, des starken Windes wegen in einer großen Holzkiste zu fünfen übereinander gekauert, Augen und Ohren mit gespanntester Aufmerksamkeit auf das Empfangsgerät gerichtet, plötzlich das erste Ticken, die ersten deutlichen Morsezeichen vernahmen, lautlos und unsichtbar herübergetragen von jener felsigen, nur in undeutlichen Umrissen wahrnehmbaren Insel, herübergetragen durch jenes unbekannte geheimnisvolle Mittel, den Äther. Es waren die Morsezeichen des V, welche der Verabredung gemäß zuerst bei uns ankamen ..."

Marconi setzte seine Versuche mehrere Tage fort. Zuletzt ließ er George Kemp von der Insel Flatholm nach der gegenüberliegenden Küste übersiedeln und telegrafierte zwischen Lavernock Point und Brean Down in einer Entfernung von 14,5 Kilometern über die ganze Breite des Kanals hinweg. In der Öffentlichkeit wurde sein Name jedoch erst durch ein sportliches Zwischenspiel bekannt. Im Frühjahr 1898 erschien der Sportredakteur des „Dublin Express" bei ihm in London. „Sie wissen sicher, Herr Marconi, daß in vierzehn Tagen die große Segelregatta in der Irischen See stattfindet", erklärte er. „Sie erhält dieses Jahr durch die Teilnahme belgischer, französischer und amerikanischer Jachten ein internationales Gepräge. Irland fiebert ihrem Ausgang entgegen. Leider liegt der Kurs der Regatta so weit draußen auf See, daß eine genauere Beobachtung der Boote von der Küste aus unmöglich sein wird. Wir würden den Verlauf der Wettfahrt also erst nach ihrer Beendigung schildern können. Das ist keine Empfehlung für uns. Unsere Zeitung bittet Sie daher, die Regatta als Gast unserer Schriftleitung von einem Motorboot aus zu verfolgen und Berichte darüber nach Kingstown zu funken." „Das wird nicht ganz einfach sein", antwortete Marconi. „Wir sind bereit, alle Ihre Wünsche zu erfüllen", versprach der Redakteur. „Uns kommt es nur darauf an, die Zuschauer an der Küste und unsere Leser laufend über den Stand der Regatta zu unterrichten und ihnen das Ergebnis zu melden, ehe die Boote nach Beendigung der Wettfahrt in den Hafen von Dublin einlaufen. Bedenken Sie doch, es wäre eine glänzende Reklame für uns und für Sie!"

Marconi lächelte. „Sie haben recht", sagte er nach einigem Überlegen. „Einen besseren Hinweis auf mein Verfahren gibt es nicht. Außerdem freue ich mich, endlich einmal von Bord eines Schiffes aus telegrafieren zu können." Dublin befand sich während dieser Tage in heller Aufregung. Favorit der volkstümlichen Regatta war die irische Jacht „Mermaid“, die von dem Reeder White gesteuert wurde. White hatte schon viele Rennen mit ihr gefahren und siegreich beendet. Aber diesmal waren die Gegner besonders stark. Den amerikanischen Jachten „Ithaca" und „Belleport" ging der Ruf voraus, die schnellsten Segelboote der Welt zu sein, und Frankreich hatte die „Ile de France" entsandt, die der „Mermaid" im Vorjahr erst auf den letzten Kilometern um Bruchteile von Sekunden unterlegen war. Trotzdem wollte man in Dublin nicht daran glauben, daß „Mermaid" geschlagen werden könnte. Die Wetten standen 2: 1. Wer auf sie setzte, sollte im Falle ihres• Sieges also nur den doppelten Einsatz zurückerhalten. „Ithaca" und „Belleport" wurden dagegen mit 4: 1 und „Ile de France" sogar mit 7: 1 bewertet. Als Marconi drei Tage vor dem Beginn der Regatta in der irischen Hauptstadt ankam, hatte George Kemp bereits alle Vorbereitungen getroffen. Das vom „Dublin Express" gecharterte Motorboot „Flying Huntress" war mit einer dreißig Meter hohen Antenne und einem Sender ausgerüstet worden. Die Empfangsstation hatte Kempin Kingstown unmittelbar an der Küste errichtet. Marconis Versuchssendungen gelangen gut; die vorgesehenen Entfernungen von zwanzig bis dreißig Kilometern wurden sicher überbrückt. „Drücken Sie beide Daumen, daß, Mermaid 'siegt", sagte ihm der Sportschriftleiter am Vorabend der Wettfahrt. „Wenn Sie das Glück haben, einen Erfolg des irischen Bootes melden zu können, werden Sie morgen neben Reeder White der beliebteste Mann in ganz Irland sein." Achtundvierzig Stunden vor dem Beginn der Regatta gab der „Dublin Express" seinen Plan bekannt. „Erste telegrafische Übertragung einer Wettfahrt auf hoher See", lautete die Schlagzeile.

 

Guglielmo Marconi – Physik-Schule

Sendeversuch über den Bristolkanal [1]

 

Darunter hieß es: „Von Bord der, Flying Huntress' werden wir ständig Berichte über den Verlauf des Rennens erhalten. Guglielmo Marconi, der Erfinder der drahtlosen Telegrafie, hat sich bereit erklärt, die Sendungen persönlich zu überwachen. Mit der Empfangsstation in Kingstown sind unsere Vertretungen in Dalkey, BlackRock, Sandymount, Howth und unser Redaktionsgebäude telefonisch verbunden. Nach jeder Meldung werden wir Anschläge aushängen, die uns alle Höhepunkte der Regatta miterleben lassen." Gegen acht Uhr morgens versammelten sich die• Jachten in der Nähe des Poolbeg Feuerschiffes, um sich zum Start bereitzustellen. Es briste hart aus Südwest; die beiden ersten Teilstrecken des trapezförmigen Kurses konnten daher mit starkem achterlichem Wind durchsegelt werden. Dabei gelang es den amerikanischen Gästen, ihre Schnelligkeit überzeugend auszunutzen. Nach der ersten Wendemarke und einer Gesamtzeit von knapp zwei Stunden führte „Ithaca" vierzig Sekunden vor „Belleport". Sechs Minuten zurück lag „Ile de France" vor zwei englischen Booten und der an sechster Stelle folgenden „Mermaid".

Die Übertragungen Marconis gelangen gut. Während die Jachten schnell aus dem Blickfeld der Zuschauer verschwanden, gaben die viertelstündlich wechselnden Aushänge des „Dublin Express" eine genaue Übersicht über den Stand der Wettfahrt. Aber die Berichte begeisterten die an der Küste ausharrenden Menschen nicht. Sie wollten keine Meldungen vom Erfolg der Amerikaner; sie wollten einen irischen Sieg, den Sieg des Reeders White mit seiner „Mermaid". Nach dem Durchsegeln der zweiten Teilstrecke war der Rückstand des irischen Bootes beinahe hoffnungslos geworden. Bei einer Gesamtzeit von 4 Stunden 17 Minuten führte „Ithaca" bereits mit sieben Minuten Vorsprung. Ihr folgte „Belleport", die wiederum mehr als fünf Minuten vor „Ile de France" lag. „Mermaid" hatte um diese Zeit bereits achtzehn Minuten aufzuholen. Erst mit dem Beginn der dritten Strecke begann der Vorstoß der „Mermaid“. Jetzt, da die Jachten gegen den seitlich einfallenden Wind und starken Wellenschlag segeln mußten, bewies sich die Seetüchtigkeit des irischen Bootes und die seemännische Befähigung Whites und seiner Mannschaft. Es gelang ihr, „Ile de France" zu überholen und bis auf dreizehn Minuten an die führende „Ithaca" heranzukommen.

Trotzdem schien der Sieg der „Ithaca" nach dem Umsegeln der dritten Wendemarke festzustehen. Marconi funkte: „Die führenden Boote haben die dritte Wendemarke in folgender Reihenfolge passiert:, Ithaca' 14.46 Uhr, Bellepore 14.55 Uhr, Mermaid' 14.59 Uhr,Ile de France' 15.01 Uhr. Die Besatzung der, Mermaid' hat den Kampf noch nicht aufgegeben. Sie nutzt jede Möglichkeit, die an zweiter Stelle liegende, Belleport' zu erreichen und wenigstens den zweiten Platz für Irland zu sichern." Eine Hoffnung, daß „Mermaid" auch noch „Ithaca" gefährden könnte, schien nach Ansicht der Beobachter auf der „Flying Huntress" nicht mehr gegeben. Die letzte Strecke führte fast genau gegen den starken Südwest. Jetzt mußten die Boote hart am Wind segeln; eine Aufgabe, die bei der steifen Brise und •der aufgewühlten See höchstes Geschick verlangte. Dabei zeigte sich, daß auch die amerikanischen Segler erfahrene Sportler waren. Sie schossen in den Wind, fielen ab, setzten blitzschnell die Segel um und waren bestrebt, möglichst keine Sekunde ihres Vorsprungs preiszugeben. Aber trotz ihres Wagemutes kam das irische Boot näher und näher. Gegen 15.45 Uhr funkte Marconi: „Die Reihenfolge hat sich wiederum geändert. In einer tollkühnen Fahrt ist es, Mermaid gelungen, Belleport' zu überholen. Unseren augenblicklichen Standort haben die Jachten zu folgenden Zeiten durchsegelt: Ithaca' 15.33 Uhr, Mermaid' 15.41 Uhr, Bellepore 15.43 Uhr. Abgeschlagen folgt, Ile de France'. Auch die übrigen Boote kommen für die Entscheidung nicht mehr in Frage.

Die Zusammenarbeit an Bord der, Mermaid' ist ausgezeichnet; die Mannschaft scheint alles daransetzen zu wollen, der führenden, Ithaca' noch einen aufregenden Endkampf zu liefern." Nach dieser Funkmeldung war an der Küste der Teufel los. Den Männern vom „Dublin Express" wurden die Aushänge aus den Händen gerissen, die Zeiten der Jachten gingen von Mund zu Mund. Mit jeder Meldung rückte „Mermaid" näher an „Ithaca" heran. Kurz nach 16.30 Uhr berichtete Marconi: „Die Jachten liegen jetzt Bord an Bord. Erst die letzte halbe Stunde wird den Kampf entscheiden. Matrosen und Fahrgäste der, Flying Huntress' jubeln der irischen Mannschaft zu. Wir hoffen auf ihren Erfolg." Einige Minuten später kamen die Boote in Sicht. Jetzt hatte „Mermaid" die Führung übernommen. Während sie unter den Jubelrufen der Zuschauer die Ziellinie zwischen BlackRock und Drumleck Point durchfuhr, bereitete der „Dublin Express" bereits die erste Sonderausgabe vor. Am Hafenpier wurden Reeder White und sein Mann schaft mit lautem Beifall begrüßt. Als der erste Begeisterungssturm vorüber war, wandte sich die Aufmerksamkeit vieler Menschen der „Flying Huntress" zu, die unmittelbar neben der „Mermaid" angelegt hatte. Mit einem Schlage war Marconis Erfindung volkstümlich geworden! Seine gelungene Sportreportage erregte überall in der Welt großes Aufsehen; in einem Telegramm aus Neuyork wurde er sogar aufgefordert, die berühmte Regatta um den Amerika-Cup in der gleichen Form zu übertragen. Noch deutlicher bewiesen andere Ereignisse den Wert seines Verfahrens. Auf Sir Preeces Anregung waren Ende Dezember 1898 der Leuchtturm von South Foreland bei Dover und das zwölf Meilen seewärts liegende Feuerschiff East Goodwin Sands mit Marconis Geräten ausgerüstet worden.

Am 28. April 1899 wütete ein heftiger Sturm über der südenglischen Küste. Schwere Brecher schlugen das Feuerschiff leck. Die Funkverbindung ermöglichte es der Besatzung jedoch, rechtzeitig Bergungshilfe anzufordern, so daß das Schiff in den Hafen abgeschleppt werden konnte. Zwei Monate später lief der Frachter„R. F.Mathews" bei dichtem Nebel in der Nähe der East Goodwin Sands auf Grund. Die Mannschaft des Feuerschiffs hörte die Notsignale und nahm sofort Funkverbindung mit South Foreland auf. Zwei Rettungsboote brachten alle Mitglieder der Besatzung in Sicherheit. „Innerhalb eines Vierteljahres hat eine einzige Funkverbindung siebzehn Menschen das Leben gerettet", berichtete Sir Preecein einem Vortrag in der Londoner Universität. „Ich glaube nicht, daß es einen besseren Beweis für den Wert der drahtlosen Telegrafie geben kann." Das Jahr 1899 brachte Marconi noch einen weiteren Triumph: die erste Überbrückung des Ärmelkanals mit Hilfe elektromagnetischer Wellen! Seit Jahrhunderten hatten die fähigsten Ingenieure davon geträumt, England durch einen Kanal mit dem Kontinent zu verbinden. Ihre Pläne waren immer wieder gescheitert. Aber noch nie war ein Mensch so kühn gewesen, drahtlos über den Kanal hinwegsprechen zu wollen. „Ich hoffe, mit der Verwirklichung dieses Gedankens nicht nur der Verständigung, sondern auch der Freundschaft zwischen den Völkern zu dienen", erklärte Marconi. Der Sender wurde in Wimereux, einem Dorf fünf Kilometer nördlich von Boulogne, errichtet. Die Entfernung zur Gegenstation in South Foreland bei Dover Betrug 52 Kilometer. Beauftragte der französischen Regierung überwachten die Arbeiten, die von Marconi und Dr. Erskine Murray, einem seiner engsten Mitarbeiter, geleitet wurden.

Unermüdlich war der Erfinder inmitten seiner Tischler und Mechaniker beim Ausbau der Station tätig: er kletterte die sechzig Meter hohen Masten hinauf, spannte die Drähte der Antenne, legte elektrische Leitungen und prüfte jedes Gerät, das in den Stromkreis eingeschaltet wurde. Der Zeitpunkt der ersten Übertragung war auf Montag, den 27. März, festgesetzt worden. Am Nachmittag dieses Tages hatte sich eine ausgewählte Gesellschaft in Wimereux versammelt: Beamte, Offiziere, Ingenieure und Wissenschaftler der Pariser Sorbonne, darunter der angesehene Mathematik Professor Henri Poincare, der die Übertragung elektromagnetischer Wellen über weitere Entfernungen für unmöglich erklärt hatte. Die äußeren Umstände waren denkbar ungünstig. Böen heulten um die Masten und zerrten an den straff gespannten Drähten. Marconi verzog darüber keine Miene. Punkt fünf Uhr nahm er den Sender in Betrieb. Wie von einer Zauberhand erzeugt, blitzte der Funke zwischen den Polen des Stromkreises auf. Unwillkürlich gingen die Blicke der Beobachter zu den Dünen hinaus, wo der Frühjahrssturm gegen die verlassene Küste brandete. Würde Marconis Botschaft England erreichen? Genügte die Kraft des Funkens, die zweiundfünfzig Kilometer zwischen Wimereux und South Foreland zu überbrücken? Als Marconi umgeschaltet hatte, blieb sekundenlang alles still im Raum. Jeder sah voll atemloser Spannung auf den Morseschreiber. Plötzlich begann der Empfänger zu ticken. Zentimeter um Zentimeter rollte das Band die Antwort ab: erst ein V, der Ruf, dann ein M, die Bestätigung der Funkverbindung, zwei CMS, die Signale der Station South Foreland, und zuletzt drei V, die das Ende der Verständigungprobe anzeigten. „Bitte, meine Herren, wir sind bereit", sagte Marconi. „Wollen Sie so freundlich sein, Verbindung mit South Foreland aufzunehmen. Ich werde jede gewünschte Nachricht übermitteln!" Die aufgegebenen Sprüche trafen ohne Störung in Doverein und wurden von dort bestätigt und erwidert. Die Begeisterung war groß! Jede neue Übertragung bewies, daß die erste Funkverbindung zwischen Frankreich und England einwandfrei arbeitete. Nur Poincare blieb mißtrauisch.

„Würden Sie auch einen verschlüsselten Text senden und wiederholen lassen?” fragte er Marconi. „Selbstverständlich“ antwortete der Erfinder. Daraufhin übergab ihm Poincare einen Zettel, der nur eine sinnlose Folge von Buchstaben zu enthalten schien. Verwundert sandte Marconi Zeichen um Zeichen: „Sdne reven taht nohtaram a si ecneics!" George Kemp, der den Empfänger in South Foreland bediente, traute seinen Augen kaum, als der Morsestreifen abrollte. Aber dann lachte der alte Haudegen plötzlich auf. „Eine unbestreitbare Wahrheit", dachte er, nachdem er die einzelnen Wörter von hinten nach vorn gelesen hatte. „Sieht ganz so aus, als ob der Text von einem Philosophen entworfen wäre." „Spaßvogel durchschaut", funkte er zurück. „Science is a marathon that never ends!" („Die Wissenschaft ist ein Marathonlauf, der niemals endet!") Damit war der Satz Poincares nicht nur richtig zurückgefunkt, sondern zugleich auch entschlüsselt. „Bisher habe ich nicht an das Wunder der elektromagnetischen Wellen glauben wollen", erklärte Dufours, der Sachverständige der französischen Regierung. „Jetzt kann aber wohl kein Zweifel mehr daran bestehen, daß der drahtlosen Telegrafie die Zukunft gehört!" 

 

Marconi mit Senderanlage [1]

 

3. Der Sieg über den Atlantic

Nach der Überwindung des Ärmelkanals setzte sich Marconi ein noch bedeutenderes Ziel: die Überquerung des Atlantiks, die drahtlose Verbindung zwischen Europa und Amerika! Marconi wußte, daß dieser Plan mit den bisherigen Mitteln nicht durchzuführen war. Der Sender mußte stärker sein; außerdem kam es darauf an, die günstigste Wellenlänge ausfindig zu machen. Mathematische Berechnungen halfen ihm nicht weiter. Bisher war es noch keinem Physiker gelungen, das Wesen der elektromagnetischen Wellen wirklich zu ergründen. Die Fragen, die es zu lösen galt, ließen sich daher nur auf eine Art beantworten: durch den Bau eines leistungsfähigen Senders und den Versuch, seine Zeichen jenseits des Ozeans zu empfangen. Wieder war es Henri Poincare, der Marconis Vorhaben als undurchführbar bezeichnete. „Die elektromagnetischen Wellen pflanzen sich geradlinig fort", schrieb er in einer wissenschaftlichen Untersuchung. „Die Erdoberfläche ist jedoch gekrümmt. Wie sollen ihr die Wellen folgen? Wenn man für den Sender hohe Antennentürme baut, wird man sicher noch einige Kilometer weiter telegrafieren können als bisher. Aber von Europa nach Amerika — das ist unmöglich! Ich bewundere Marconi, aber ich bin davon überzeugt, daß er sich — ebenso wie wir alle — den Naturgesetzen beugen muß." Marconi nahm Poincares Einwände bitterernst. Als George Kemp sie mit einem verächtlichen Achselzucken abtun wollte, sagte er: „Poincare ist ein hervorragender Mathematiker. Wir dürfen nicht überrascht sein, wenn sich seine Bedenken bestätigen. Die geradlinige Ausbreitung der elektromagnetischen Wellen verträgt sich wirklich nicht mit der Krümmung der Erde. Aber es wäre doch einfach großartig, wenn es trotzdem gelänge, über den ganzen Atlantik zu funken!"

Im Sommer des Jahres 1900 verlegte er sein Standquartier nach Poldhu, einem kleinen Ort an der äußersten Spitze der Halbinsel Cornwall, die sich zwischen dem englischen Kanal und dem Bristolkanal ins Meer erstreckt. Gemeinsam mit Major Page, dem Direktor der 1897 gegründeten Marconi Company, und den Ingenieuren Entwistle und Vyvyan begann er am Rande der Steilküste mit dem Aufbau eines Senders, dessen Leistung alle bisherigen Stationen weit übertreffen sollte. Zwanzig hölzerne Masten, jeder etwa 60 Meter hoch, wurden in einem Halbkreis von hundert Meter Durchmesser errichtet. Dathe Felsen von Poldhu 70 bis 80 Meter über den Meeresspiegel hinausragten, betrug die wirkliche Höhe der aus vierhundert Drähten bestehenden Antenne 140 Meter. Marconi hoffte, den vom Sender ausgestrahlten Wellen auf diese Weise einen möglichst ungestörten Weg nach Westen zu sichern.

Ende August 1901 war der Aufbau der Station so gut wie beendet. Tag für Tag saß Marconi mit seinen Ingenieuren zusammen, um die letzten Vorbereitungen für Versuchssendungen nach Irland zu treffen. Am Vormittag des 17. September waren sie damit beschäftigt, die in Poldhu hergestellte Empfangsanlage auf den Sender abzustimmen. Draußen stürmte seit dem frühen Morgen ein heftiger Nordwest, der sich mehr und mehr zum Orkan steigerte. Als Marconi und seine Helfer während einer Arbeitspause auf das wild gegen die Küste brandende Meer hinausblickten, sahen sie plötzlich, daß der •aufheulende Sturm die Masten wie Streichhölzer knickte und die Antenne zu Boden fegte. Sekunden danach war die ganze Station nur noch ein Gewirr von Drähten, Seilen und zersplitterten Hölzern. Regungslos starrten die Männer auf die Trümmer. Sie wußten, daß dieser Augenblick die Arbeit eines ganzen Jahres vernichtet hatte. Niemand wagte ein Wort zu sagen. Auch Marconi schwieg und stützte sich schwer auf die Tischplatte, auf der das Empfangsgerät mit den Kohärern stand. Endlich faßte er sich. „Kein Grund zu verzagen", sagte er. „Stellen Sie sich vor, das Unglück wäre ein Vierteljahr später während unserer Versuche mit Nordamerika geschehen. Dann hätte niemand mehr an die Möglichkeit einer drahtlosen Verbindung zwischen den Kontinenten geglaubt. Jetzt können wir aus diesem Vorfall lernen und in Zukunft einfacher und — sicherer bauen!"

Drei Tage danach legte er seinen Ingenieuren bereits den Entwurf zur Errichtung einer anderen Antenne vor. Diesmal ließ et nur zwei Masten aufstellen, verstärkte sie durch mehrere dreieckige Verstrebungen und brachte an den Verbindungshölzern fünfundfünfzig Kupferdrähte an, die auf der Erde fächerförmig zusammenliefen. Anfang November fanden bereits die ersten Sendungen zwischen Poldhu und Crookhaven in Irland über eine Entfernung von 360 Kilometern statt. Sie gelangen so gut, daß Marconi glaubte, auch die Übertragung über den Atlantischen Ozean wagen zu können. Am 26. November schiffte er sich mit der „Sardinia" von Liverpool nach Amerika ein. Ziel seiner Reise war St. Johns, ein Hafen auf der Insel Neufundland an der östlichsten Spitze Nordamerikas. In seiner Begleitung befanden sich George Kemp und William Paget, ein junger Elektriker, der sich in Poldhu als zuverlässiger Arbeiter und gewandter Telegrafist bewährt hatte. Merkwürdig war das Gepäck, das Marconi mit sich führte. Es bestand nicht nur aus der Empfangsanlage mit den hochempfindlichen Kohärern und den gebündelten Kupferdrähten, sondern auch aus buntbemalten Drachen, die George Kemp in seinen Mußestunden eigenhändig gebastelt hatte, festen Ballonhüllen und zahlreichen Gasbehältern mit komprimiertem Wasserstoffgas. In Neufundland wollte Marconi zunächst keine Masten aufbauen, sondern die Antennen von Drachen oder Ballonen in die Luft hinauftragen lassen; um n so die beten Bedingungen für den Empfang zu erkunden. Die „Sardinia" traf am 6. Dezember in St. Johns ein.

Zwei Tage später war Marconi bereits auf der Suche nach einem geeigneten Platz für seine Empfangsanlage. Nach einer gründlichen Besichtigung der Umgebung entschied er sich für Signal Hill, einen nicht allzu steilen, festungsähnlichen Berg, der einen freien Ausblick auf das offene Meer gewährte. Die abgeflachte Kuppe erschien vorzüglich dazu geeignet, Drachen oder Ballone aufsteigen zu lassen. Auf einem vorspringenden Felsen erhob •sich ein massiver Turm, in dem eine Nachrichtenstation der amerikanischen Marine untergebracht war. In einer benachbarten Militärbaracke konnte Marconi ein geräumiger Arbeitsraum für den Aufbau seines Empfängers zugewiesen werden. Über die ersten Tage in Neufundland führte George Kemp sorgsam Tagebuch. Er schrieb: „Montag, den 9. Dezember. Aufbau unserer Empfangsanlage. Die Geräte haben den Transport unbeschädigt überstanden, die elektrische Überprüfung der Kohärer verlief einwandfrei. In der Baracke ist es kalt und zugig. Nur gut, daß wir einige Flaschen Whisky mitgebracht haben. Dienstag, den 10. Dezember. Heute haben wir bei acht Grad Kälte und heftigem Schneetreiben einen Drachen mit einem Antennendraht bis auf 180 Meter Höhe steigen lassen. Der Aufstieg klappte gut, Empfangsversuche sind noch nicht unternommen worden. Hätte nie gedacht, daß unser Kinderspiel, Flying a kite' noch einmal wissenschaftliche Bedeutung gewinnen würde. Mittwoch, den 11. Dezember. Aufstieg eines Ballons von 4,25 Meter Durchmesser mit einer zehn Pfund schweren Antenne. Die erreichte Höhe betrug 140 Meter. Eine Dreiviertelstunde nach dem Aufstieg riß der Wind den Ballon los und trieb ihn auf das Meer hinaus. Solange das stürmische Wetter anhält, werden wir mit dem Drachen arbeiten müssen. — Die Empfangsanlage wurde noch einmal überprüft. Die Kohärer sind jetzt mit einem Telefonhörer verbunden. Da das menschliche Ohr empfindlicher ist als der Morseschreiber, werden wir auf diese Weise auch schwächere Zeichen aufnehmen können. — Nachricht an Poldhu gekabelt. Ab morgen soll mit den Sendungen begonnen werden. Verabredungsgemäß wird Poldhu ununterbrochen das Zeichen S — drei Punkte — ausstrahlen. Sendezeit von 3 bis 6 Uhr nachmittags (Ortszeit St.Johns 11.30 bis 14.30 Uhr). Wir hoffen auf guten Empfang." Am Donnerstag, dem 12. Dezember, stieg der Drachen mit dem Antennendraht bis auf hundertfünfzig Meter.

Kemp übernahm es, ihn sicher im Wind zu halten; Marconi und Paget gingen in die Baracke zurück, um den Empfänger zu bedienen. Die Aufregung wuchs von Minute zu Minute. Immer wieder schaute Marconi ungeduldig auf die Uhr. Eine Viertelstunde vor Beginn der Sendungen hatte er bereits den Telefonhörer umgelegt. Er spürte deutlich, wie sein Herz klopfte. 3500 Kilometer lagen zwischen Poldhu in Cornwall und der einsamen Empfangsstation auf dem Signal Hill. Würde der Versuch trotz der großen Entfernung gelingen? War die gewählte Wellenlänge von 1000 Metern richtig? Genügte die Stärke des Senders? Oder würde Poincare mit seiner Behauptung recht behalten, daß die Krümmung der Erde jede drahtlose Telegrafie zwischen den Kontinenten unmöglich mache? Hundertfünfzig Meter über Signal Hill tanzte der Drachen unruhig in der Winde hin und her. Bewohner von St. Johns, die sich am unteren Hang des Hügels angesiedelt hatten, schüttelten den Kopf über die „englischen Narren". Der im Dienst ergraute Signalgast der Marinestation, der den Ausguck besetzt hielt, blickte verwundert auf den dünnen, zur Baracke führenden Antennendraht.

Niemand von ihnen ahnte, was in diesem Augenblick zwischen Cornwall und Neufundland geschah und daß elektromagnetische Wellen von Poldhu auf dem Wege nach Signal Hill waren. 11.30 Uhr! Marconi horchte und horchte. Er kroch förmlich in seinen Telefonhörer hinein. Aber zu seiner Enttäuschung blieb alles still. Nur das unregelmäßige Geräusch atmosphärischer Störungen knisterte in der Leitung. Sonst geschah nichts. Eine halbe Stunde lang „Hat der Drachen an Höhe verloren?" schrie Marconi zu Kemp hinaus, nachdem er den Hörer für einige Minuten Paget übergeben hatte. „Alles in Ordnung!" erwiderte Kemp. „Der Drachen steht immer noch unverändert im Wind." „Überprüfen Sie die Zuführungen zum Empfänger", sagte Marconi zu Paget. „Vielleicht hat sich ein Kontakt gelöst." Plötzlich winkte er ab. Er hatte ganz deutlich ein scharfes, abgehacktes Ticken vernommen. Dreimal kurz hintereinander! Wenige Sekunden später folgte das gleiche Zeichen: drei kurze Stromstöße in schneller Folge! Immer angespannter lauschte Marconi, und immer wiederholte sich das Ticken mit gleicher Deutlichkeit. „Kommen Sie, Paget!" rief er. „Schnell! Können Sie etwas hören?" Auch Paget nahm das abgehackte Ticken deutlich wahr. „S — S — S — Pause — S — S — S " bestätigte der junge Elektriker. „Das ist Poldhu, das ist ganz sicher Poldhu!" Jubelnd lief er zu Kemp hinaus, um ihn bei der Führung des Drachens abzulösen. „Wir haben es geschafft, die Zeichen kommen an!" Kemp nickte. ich „Habe’ nichts anderes erwartet!" erklärte er mit gespielter Lässigkeit. Aber die Augen in seinem faltigen, wettergebräunten Gesicht leuchteten auf vor Glück. „Das ist einen kräftigen Schluck Whisky wert!" sagte er zu Marconi, während er den Hörer übernahm. „Poincare wird vor Staunen aus seinem Lehrstuhl kippen, wenn er erfährt, daß die Krümmung der Erde keinen Einfluß auf die Ausbreitung der elektromagnetischen Wellen hat."

Der Empfang dauerte von 12.02 bis 12.49 Uhr. Dann wurde er schwächer und schwächer und hörte zuletzt ganz auf. Auch am nächsten Tag konnten die Zeichen nur vorübergehend aufgenommen werden. Die Bewegung des Drachens und stärkere atmosphärische Störungen schienen die Übertragung zu beeinflussen. Damit hatte Marconi jedoch gerechnet. Ihm genügte der Beweis, daß es überhaupt möglich war, Morsezeichen über die ganze Breite des Atlantischen Ozeans zu senden. Der Sieg war errungen; jetzt kam es nur noch darauf an, ihn zu festigen.

 

4. „Wir verdanken ihm unser Leben!"

Im Jahre 1902 begann Marconi mit dem Aufbau der Großstation Glace Bay auf dem Cape-Breton-Insel im äußersten Osten Kanadas. Versuchssendungen zwischen Europa und Amerika wurden im Dezember des gleichen Jahres aufgenommen. Sie litten zunächst unter den ungeklärten atmosphärischen Verhältnissen. Nachts war der Empfang gut, am Tage setzte er oft ganz aus. Niemand wußte damals, daß die geradlinigen Wellen von den elektrisch geladenen Schichten der oberen Atmosphäre reflektiert werden und daher trotz •der Krümmung der Erde zur Erdoberfläche zurückkehren. Diese Schichten werden jedoch unter dem Einfluß der Sonnenbestrahlung durchlässiger, ein Vorgang, den wir heute als Schwund oder „Fading" bezeichnen. Erst null. Dem Marconi dazu übergegangen war, mit stärkeren Sendern und gebündelten Wellen zu arbeiten, konnte er die ärgsten Schwierigkeiten überwinden und im Oktober 1907 einen regelmäßigen Funkverkehr zwischen der europäischen Großstation Clifden in Irland und Glace Bayeröffnen. Die bedeutendsten Erfolge erzielte Marconi auch in den nächsten Jahren auf hoher See.

Am 23. Januar 1909 stieß die „Republic“, ein Passagierdampfer von 15 000 Tonnen, bei Nantucket in der Nähe von Neuyork mit dem italienischen Frachter „Florida" zusammen. Auf den SOS-Ruf der „Republic" meldeten sich die Funkstationen Newport und Cape Code und vier Handelsschiffe, die sofort ihren Kurs änderten und auf die Unglücksstelle zuhielten. Eine knappe halbe Stunde nach dem Zusammenstoß konnten bereits die ersten Passagiere der hilflos treibenden Dampfer übernommen werden. Insgesamt wurden mehr als zweitausend Menschen gerettet. Erregender für die Weltöffentlichkeit waren die Ereignisse, die sich mit dem Untergang der „Titanic" verbanden. In der Nacht vom 14. zum 15. April 1912 wurde der modernste Ozeanriese der White-Star-Linie, das „sicherste" Schiff der Welt, von einem Eisberg gerammt, der ein großes Leck in den vorderen Rumpf unterhalb der Wasserlinie riß. Der Kommandant verließ sich zunächst auf die Schotten am Bug; erst als das Schiff starke Schlagseite bekam, gab er dem 25-jährigen Marconi-Funker Jack Philipps Befehl, SOS zu senden.

Der Hilferuf wurde von mehreren Schiffen gehört; sie waren jedoch alle so weit von der „Titanic" entfernt, daß •sie mehr als vier Stunden brauchten, um die angegebene Position zu erreichen. Ein Frachtdampfer, der kurz vor dem Unglück an der „Titanic" vorbeigefahren war, besaß keine Funkanlage und setzte seinen Kurs in entgegengesetzter Richtung fort. Eine knappe Stunde nach dem Zusammenstoß ging ein heftiger Ruck durch das Schiff. Da sich der Bug stark zu neigen begann, gab der Kommandant Befehl, Frauen und Kinder in die Rettungsboote zu bringen. Die Männer erhielten Schwimmwesten. An Deck ging jetzt alles drunter und drüber. Menschen schrien, schlugen sich um die Plätze in den Booten oder sprangen voller Verzweiflung über Bord. Nur Jack Philipps blieb ruhig. Unermüdlich sandte er sein SOS-Zeichen und trieb die herankommenden Dampfer zur Eile an.

„SOS von Titanic. SOS von Titanic. Wir sind auf einen Eisberg aufgelaufen. Schiff sinkt schnell. Kommt zur Hilfe! Position 41.46 Grad Nord, 50.14 Grad West", funkte er immer wieder in den Äther hinaus. 1.27 Uhr flutete Wasser in den Maschinenraum. Die Leistungen des Senders wurden schwächer. Philipps schaltete die Notbatterien ein und rief und rief. Kurz vor zwei Uhr erschien der Kapitän im Funkraum. „Das Schiff ist verloren", sagte er. „Sie haben Ihr Bestes getan, Philipps. Verlassen Sie die Kabine und versuchen Sie, sich in Sicherheit zu bringen. Every man for himself— rette sich, wer kann!" Aber Philipps hörte nicht auf ihn. Sein Kamerad Bride schnallte ihm eine Schwimmweste um und bat ihn, zu der übrigen Mannschaft an Deck zu kommen. Philipps winkte ab. Er unterbrach seine Hilferufe keine Sekunde. „SOS von Titanic. SOS von Titanic. Beeilt euch, unser Maschinenraum ist bereits überflutet ..." 2.10 Uhr hob sich plötzlich das Heck weit aus dem Wasser. Sekunden danach sank das immer noch hell erleuchtete Schiff unter donnernden Explosionen der Kessel. Von den Booten aus sah man, wie die Lichter plötzlich herumgerissen wurden, beinahe senkrecht stürzten und jäh erloschen. Hunderte ertranken im wirbelnden Sog. Rettungsboote kenterten oder wurden abgetrieben. Viele, die sich schwimmend über Wasser zu halten versuchten, starben in der eisigen Kälte. Die übrigen hielt nur die eine Hoffnung aufrecht: daß der SOS-Ruf des Funkers von anderen Schiffen gehört worden war!

Gegen vier Uhr traf die „Carpathia" als erster Dampfer an der Unglücksstelle ein. Ihr Funker Harold Cottam hatte die Meldungen der „Titanic" bereits kurz nach Mitternacht aufgefangen. Kapitän Rostron war daraufhin sofort auf Nordostkurs gegangen, um dem gefährdeten Schiff trotz der Eisberggefahr mit höchster Geschwindigkeit zu Hilfe zu eilen. In Zusammenarbeit mit den später kommenden Schiffen „Baltic" und „Frankfurt" gelang es der Besatzung, 712 Menschen vor dem sicheren Tod zu retten. 1517 blieben vermißt. Einen Monat nach dem Untergang der „Titanic" fand der White Star-Star-Dampfer „Olympic" noch eines der abgetriebenen Rettungsboote mit drei toten Passagieren. Die „Carpathia" brachte die überlebenden nach Neuyork. Als sie erfuhren, daß sich Marconi in der Stadt aufhielt, zogen sie vor sein Hotel. „Wir verdanken ihm unser Leben!" riefen sie und streuten in überschwenglicher Begeisterung Blumen und Konfetti. „Ohne das Funkgerät der, Titanic' wären wir alle verloren gewesen!" Wichtiger als der Dank der 712 Menschen war für Marconi ein vom britischen Parlament beschlossenes Gesetz, das alle Schiffe des Handelsmarine zur Mitführung eines Funkgerätes verpflichtete. Nach dem ersten Weltkrieg zog sich Marconi mehr und mehr ins Privatleben zurück.

Auf seiner Jacht „Elettra" richtete er sich ein schwimmendes Laboratorium ein, in dem er ganz nach Lust und Laune experimentierte. Die Ultrakurzwelle, die drahtlose Telefonie und der Rundfunk lagen ihm besonders am Herzen. In einer Mainacht des Jahres 1920 führte er von See aus mit der dreihundert Meilen entfernten Funkstation Monsanto bei Lissabon das erste drahtlose Telefongespräch. Ein halbes Jahr später wurde bereits ein funktelefonischer Verkehr zwischen London und Genf eröffnet. Auch der Rundfunk verdankt Marconi zahlreiche Anregungen. Lange vor Errichtung der ersten Rundfunkstation in Pittsburg führte er einwandfreie Übertragungen durch. Das Verfahren war für die Allgemeinheit noch so geheimnisvoll, daß die Sommergäste auf der Insel Wight ihren Ohren nicht zu trauen wagten, als sie im Juni 1921 an Bord der „Elettra" plötzlich Tanzmusik aus dem Hotel Savoyin London hörten! Heute sind Marconis Geräte überholt. Statt des Kohärers beherrscht die leistungsfähigere Elektronenröhre den Funk. Mit ihr bahnte sich eine Entwicklung an, die auch Marconi nicht voraussehen konnte.

 

Quellen [01.10.2023]

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Guglielmo_Marconi

[2] https://www.amazon.de/Marconi-Marc-Raboy/dp/019090593X

[3] https://gx4crc.com/imd/marconi/

[4] http://physik.uibk.ac.at/museum/de/details/electr/marconi.html

[5] https://drouot.com/de/l/16127742-marconi-a-marconi-spark-transm 

 
 

Entdecken Sie auch unsere weiteren Websites: burosch.de, fernsehgeschichte.de, tvlab.de


Über uns Impressum Datenschutz